Predigt anlässlich der Einführung in der Ev.-ref. Kirchengemeinde Hannover

»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater,

und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.

I.

Liebe Gemeinde,

Paparazzi sind schon sehr lästige Menschen. Diese hauptberuflichen Fotograf*innen tauchen auf, wo man sie nicht erwarten möchte. Sie lassen sich nur schwer abschütteln. Und nicht selten verändern Paparazzi die Menschen, denen sie nachstellen.

Paparazzi träumen davon, diesen einen unvergleichlichen Augenblick mit dem Fotoapparat zu erwischen, in dem aus normalen Menschen Helden werden oder Helden zu tragischen Figuren herabsinken. Paparazzi haben die Macht, Stars zu erschaffen, sie aber auch wieder in den Staub zu drücken. Genüsslich wird dann jeder Augenblick des Verfalls abgelichtet.

Wir haben das vor 11 Jahren bei der Familie des Bundespräsidenten Wulff miterleben können. Heute sind es Prinz Harry und seine Frau Meghan, die sich gegen aufdringliche Schnappschüsse wehren müssen. Bei vielem fühlen sie sich erinnert an Prinzessin Diana, die von Paparazzi verfolgt wurde bis zu ihrem tragischen Tod im August 1997.

Einige Prominente nutzen gerne die Arbeit der Paparazzi, um sich ihre Wichtigkeit zu erhalten. Je mehr Fotos von einem in den Zeitschriften Gala, Bunte und im Netz erscheinen, um so größer ist der Marktwert einer prominenten Person. Andererseits fürchten die Promis aber auch die Deutungen, die die Fotoredaktionen den Paparazzi-Bildern beifügen können

II.

Liebe Gemeinde,

sensations-lüsternde Menschen gibt es nicht erst seit der Erfindung der Fotografie. Auch in der Antike gab es Menschen, die versuchten, durch Sensations­berichte die Neugier ihrer Mitmenschen zu befriedigen.

Ein prominentes Beispiel aus der Bibel ist das Auftreten Johannes des Täufers. Er lebte als Asket in der Wüste, trug ein Gewand aus Kamelhaar und lebte von Heuschrecken und wildem Honig (Mk 1,4-6). Er verkündete das nahe Gottesreich und provozierte mit seinem Wirken. Denn als Endzeitprediger wurde er kritisch beobachtet. Johannes rief die Menschen zur Buße und taufte sie als Zeichen ihrer Umkehr. Auf diese Weise hatte er viele gewinnen können, die mit ihm an das nahe Gottesreich glaubten.

Aber auf Dauer war das Predigen und Taufen nicht sehr spektakulär; und das angekündigte Gottesreich ließ auf sich warten. Und so begannen einige Menschen zu hinterfragen, ob Johannes die öffentliche Aufmerksamkeit auf Dauer verdiene.

Aus Jerusalem kamen dann die ersten kritischen Nachfragen: »Bist Du der verheißene Messias?« Und Johannes antwortete: »Ich bin es nicht.« Die Sensationsreporter aus Jerusalem ließen aber nicht locker: »Bist du dann wenigstens Elia, der vor der Erlösung kommt?« Und er antwortete genervt: »Nein, bin ich nicht.« »Dann bist du sicher ein Prophet?« »Nein, auch der nicht.«

Die Hauptstadtpresse gab sich damit nicht zufrieden und fasste erneut nach: Warum rufst Du zur Umkehr und taufst, wenn du weder der Messias bist, noch Elia, noch der Prophet?

Johannes merkte, wie mit dieser Frage eine Schlinge ausgelegt wurde. Ein falsches Wort und sein Kopf würde den Hauptstädtern auf dem Tablett serviert.

In dieser Situation widerstand Johannes der Versuchung, sich zu einer Bemerkung hinreißen zu lassen, auf die die Paparazzi nur gewartet hatten. Eine politische Äußerung z.B. / Kritik an dem Gebaren von König Herodes (Antipas), der mit der römischen Besatzungsmacht gemeinsame Sache machte. Mit so einer Bemerkung hätte sich Johannes einen Platz auf den Titelseiten gesichert, aber auch einen Platz in den römischen Folterkammern. Stattdessen beschwichtigte er, dass er zwar taufe, aber nur mit Wasser. Es gäbe aber jemanden, der nach ihm komme und von größerer Bedeutung sei. Diese Person, so offenbarte er den lauschenden Berichterstattern, sei ein Unbekannter; er befinde sich aber bereits mitten unter ihnen (Joh 1,19-28).

Damit hatte sich Johannes das weitere Interesse der Hauptstadtpresse gesichert: Er war Informant bedeutender Neuigkeiten, die unmittelbar bevorstünden. An ihm dranzubleiben, bedeutete also, einer großen Sache auf die Spur zu kommen.

Im Johannesevangelium wird diese Neuigkeit dann wenige Verse später berichtet. Wir hören den für heute ausgewählten Predigttext aus Joh 1:

29 Am Tag darauf sieht Johannes Jesus auf sich zukommen, und sagt: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt. 30 Der ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war, ehe ich war. 31 Auch ich kannte ihn nicht. Aber er sollte Israel offenbart werden; darum kam ich und taufte mit Wasser.

32 Und Johannes legte Zeugnis ab und sagte: Ich habe den Geist wie eine Taube vom Himmel herabkommen sehen, und er blieb auf ihm. 33 Auch ich kannte ihn nicht. Aber der mich gesandt hatte, mit Wasser zu taufen, er sprach zu mir: »Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit heiligem Geist tauft.« 34 Gesehen habe ich, und Zeuge bin ich: Dieser ist der Sohn Gottes.

 III.

Liebe Gemeinde,

damit ist es raus. Der frisch getaufte Tischlersohn aus Nazareth ist der große Unbekannte.

Wir sehen förmlich, wie sich alle nach ihm umdrehen. Die Linsen der Großstadtpresse sind auf ihn gerichtet. Sie drängen heran und wollen den Augenblick nicht verpassen,

  - wenn der bis dahin Unbekannte offenbar wird,

  - wenn die, die bisher neben ihm gelaufen sind,

  stehen bleiben und erstaunt ein paar Schritte zurücktreten.

Die Kameras wollen unbedingt den Gesichtsausdruck des Unbekannten festhalten, wenn er ge-outet wird. Klick – damit wäre der sensationelle Augenblick im Kasten.

Doch nun braucht es noch eine Erklärung:

  • Wer ist der Unbekannte? Woher kommt er?
  • Welchen Auftrag hat er?
  • Woher bezieht Johannes seine Information? Und
  • in welchem Verhältnis steht er zu dem Unbekannten?

Die Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf den Täufer. Seine Bekundung ist nichts wert, wenn es ihm jetzt nicht gelingt, die Schaulustigen zu überzeugen.

Johannes weiß, dass es sein letzter großer Auftritt vor der Hauptstadtpresse sein wird.

Mit der Offenbarung des Unbekannten hatte er den wichtigsten Teil seiner Mission erfüllt. Danach würde die Aufmerksamkeit dem Mann aus Nazareth gelten. Doch zuvor musste Johannes erklären, warum ausgerechnet dieser Unbekannte jetzt eine so große Rolle spielen sollte. Und was er sagte, war für die Menschen damals eine Sensation und eine Enttäuschung.

»Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt.«

Jedem Israeliten, jeder Israelitin stand bei diesen Worten zweierlei vor Augen. Einmal der Auszug aus Ägypten. Und zum anderen der Bock, der für die Sünden des Volkes in die Wüste geschickt wurde.

  1. Das Bild vom Lamm erinnerte an jene Nacht in Ägypten, als Gott sein Volk durch das Blut eines Lammes vor der Vernichtung bewahrt hatte. Das Blut wurde an die Türpfosten gestrichen. Dadurch blieben die so gekennzeichneten Häuser der Israeliten von der Heimsuchung durch den Racheengel verschont.

Im jährlichen Passamahl wurde an diese Befreiung aus der ägyptischen Gefangenschaft erinnert.

Und seitdem die Römer das Land besetzt hielten, war die Sehnsucht groß, dass Gott sein Volk erneut aus der Unterdrückung befreien würde. Diesmal aus der Bedrückung der Römer und ihrer Kollaborateure im Land.

  1. Das zweite Bild, das vom Sündentragen erinnerte an den Sündenbock, dem die Verfehlungen der Kinder Israels aufs Haupt gelegt wurden und der diese dann in die Wüste fort-tragen sollte.

Jährlich wurde im Versöhnungsfest, an Yom Kippur, daran erinnert, dass jede/r im Volk Sünden auf sich geladen hat, für die man Gott und die Mitmenschen um Verzeihung bitten muss. Nur so sei ein Neuanfang möglich.

Aber seitdem die Römer das Land besetzt hielten, war vieles zerrüttet und in Schieflage geraten. Das Versöhnungsfest allein konnte all das nicht mehr auffangen.

IV.

Liebe Gemeinde,

die Jerusalemer hatten den Täufer nach dem Messias gefragt, nach dem wiederkehrenden Elia, nach dem Propheten. Denn sie kannten die alte Überlieferung, dass der, der das Volk befreien wird, schon da ist, aber noch unerkannt bleibt. Und deshalb musste er gesucht und offenbar gemacht werden.

Und dieser Täufer behauptete nun, den Unbekannten, der immer schon da war, durch seine Wassertaufe offenbart zu haben.

Das war eine ungeheuerliche Behauptung, zumal der, von dem das gesagt wurde, mitten unter ihnen stand:

- Der, der da kommen sollte, der über Jahrhunderte hinweg Her-

   beigesehnte sollte plötzlich da sein?

- Der, von dem die Schriftgelehrten sagten, dass man ein beson-

   deres Gespür brauche, um ihn zu erkennen. Und der sollte ihnen

   jetzt vor Augen stehen?

Das jedenfalls behauptete Johannes. Das Herabkommen des Geistes bei der Taufe habe Jesus als den unbekannten Retter ge-outet.

Und nun stand die Hauptstadtpresse zwischen Johannes und dem Mann aus Nazareth. Sie hatten ihre Bilder geschossen und waren verunsichert, was jetzt passieren würde. Was würde der Unbekannte jetzt tun?

- Alte Verhältnisse wiederherstellen?

- Das Gesetz des Mose neu auslegen?

- Die Römer aus dem Land jagen und ein großes Versöhnungsfest

   im Tempel feiern?

Von alledem war bei Johannes nicht die Rede. Er hatte gesagt, der Unbekannte wurde durch den vom Himmel herabkommenden Geist gekennzeichnet und würde mit ebendiesem Geist taufen und die Sünde der Welt tragen.

Dem jetzt offenbarten Unbekannten ging es also nicht um die politische Einflussnahme, sondern um eine Erneuerung der Menschen durch den Heiligen Geist.

Und er selber würde dafür nicht die Rolle des Helden übernehmen, sondern die des Opfers, des Passalamms, das sein Leben gibt, um andere zu retten. Und die Rolle des Sündenbocks, der in die Wüste geschickt wird.

V.

Liebe Gemeinde,

mal ehrlich: Sind das Bilder, mit denen man große Massen beeindrucken und Mitgliederschwund bekämpfen kann? Ein Messiasanwärter, dessen Hauptprogramm darin bestand, als Passalamm  geopfert zu werden. → Das verhieß wenig Gutes. Schon einige Hoffnungsträger vor Jesus hatten unfreiwillig ein ähnliches Ende genommen. Sobald die römische Verwaltung die Bewegung als gefährlich einstufte, griff sie militärisch ein und machte dem Treiben ein schnelles und blutiges Ende.

Und dass dieser Unbekannte in seinem Scheitern auch noch die Sünde der Welt tragen sollte, wie beim Gottesknecht im    Jesajabuch, das war dann doch zu viel für die aus Jerusalem angereiste Hauptstadtpresse.

Johannes rief ihnen noch hinterher: »Gesehen habe ich, und Zeuge bin ich: Dieser ist der Sohn Gottes.«

Aber da waren die Paparazzi schon abgereist auf der Suche nach einem Helden, der besser in ihr Schema passte.

VI.

Liebe Gemeinde,

auch wir sind von den kühnen Bildern gleich im ersten Kapital des Johannesevangeliums irritiert. Da gibt es keine Kindheitsgeschichte, keine Weisen aus dem Morgenland, kein Stall in Bethlehem. Im Johannesevangelium geht es gleich im ersten Kapitel um den fleischgewordenen Gottessohn und seinen Weg an das Kreuz.

Nun ist es aber so: Bei Filmen, in denen das tragische Schicksal des Helden bereits in der ersten Szene erzählt wird, da schauen wir nur ungern bis zum Ende. Und deshalb folgt im Joh. Ev. sofort eine zweite Szene, in der das Gleiche noch einmal anders erzählt wird:

»35 Am Tag darauf stand Johannes wieder da und zwei seiner Jünger. 36 Und als Jesus vorübergeht, richtet er seinen Blick auf ihn und sagt: Siehe, das Lamm Gottes. 37 Und die beiden Jünger hörten ihn so reden und folgten Jesus.

38 Als Jesus sich umwendet und sie folgen sieht, sagt er zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sagen zu ihm: Rabbi – das heißt ›Meister‹ – wo ist deine Bleibe? 39 Er sagt zu ihnen: Kommt, und ihr werdet es sehen! Da kamen sie und sahen, wo er wohnt, und sie blieben an jenem Tag bei ihm. Das war um die zehnte Stunde.« VII.

Liebe Gemeinde,

die große Offenbarungs-Ansprache des Täufers hatte eine andere Wirkung als von Johannes erwartet. Wahrscheinlich hatte er sich mehr von dem Augenblick versprochen, wenn er den Unbekannten offenbaren würde.

Denn es sind gerade mal zwei seiner Jünger, die es am nächsten Tag wagen, dem Unbekannten zu folgen. Selbst Jesus ist skeptisch und fragt: »Was sucht ihr? Seid ihr auch Paparazzi und an Heldengeschichten interessiert?«

Nein, machen die Jünger deutlich. Sie suchen einen Rabbi, und fragen, wo er wohnt. Sie fragen nicht, um sich den Ort im Adressbuch zu notieren:

     »Gotteslamm Jesus, Kafarnaum, Seeblickstraße Nr. 1«.

Sondern sie tun das, um ihm dorthin zu folgen, um bei dem Rabbi Jesus Unterricht zu nehmen, mit ihm zusammenzuleben und von seinem Vorbild zu lernen.

Einer der beiden Jünger, die ihm folgen, ist Andreas, der Bruder des Petrus. Der Name des anderen wird nicht genannt.

Jesus lässt sich auf die beiden ein und sagt: »Kommt und ihr werdet es sehen!«

Viele Stunden verbringen sie an diesem ersten Tag miteinander. Zeit genug für Jesus, um den beiden zu erklären, wo er seine Bestimmung sieht in einer Welt voller Ungerechtigkeit, Gewalt und Unterdrückung.

Johannes hatte auf das nahe Gottesreich hingewiesen, das mit dem Unbekannten Fahrt aufnehmen würde. Das geschehe aber nicht mit Gewalt, erklärt Jesus den beiden; »Liebt Eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen«, sagt er (Mt 5,44).

Auch die Römer will er nicht aus dem Land vertreiben. »Gebt dem römischen Kaiser, was des Kaisers ist« (Mt 22,21), sagt er. Und es geht ihm auch nicht um eine neue Lehre. »Ihr sollt nicht meinen, ich sei gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzulösen; ich komme, um sie zu erfüllen.« (Mt 5,17), sagt er.

Jesus geht es um die Erneuerung des Menschen und um einen neuen Umgang miteinander. Dazu ist der Geist auf ihn herab gekommen, dass er mit diesem Geist tauft. Dass er einen Neuanfang macht inmitten einer Welt, die voller Ungerechtigkeit, Gewalt und Unterdrückung ist.

D.h., wir Menschen sind diesem Reich der Gewalt nicht ausgeliefert. Wir sind ihm nicht bedingungslos unterworfen, sondern wir können aus diesem Reich aussteigen oder aus ihm befreit werden. Und das Reich Gottes, von dem Jesus spricht, ist nicht etwas, das erst später kommen wird. »Es ist mitten unter Euch«, sagt Jesus (Lk 17,21).

VIII.

Nachdem Jesus seinen ersten beiden Jüngern das alles erläutert hat, kommen sie in Kafarnaum an, am See Genezareth. Dort hat Jesus seine Bleibe. Und auch Andreas wohnt dort zusammen mit seinem Bruder Petrus. Andreas geht sofort zu seinem Bruder  und sagt: »Wir haben den Messias gefunden.« (V. 41).

Dass dieser ›andere Messias‹ früher oder später auch mit den lokalen und römischen Behörden in Konflikt geraten würde, das war ihnen da noch nicht klar. Sie ahnten bestenfalls, dass das Wort des Johannes vom »Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt« auf das Kreuz hindeutet.

Die Kreuzigung ist dann wieder die Stunde der Paparazzi: Da hängt der Hoffnungsträger von einst. »Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!« rufen sie (Mt 27,40). Die Paparazzi schießen ihre Bilder und kehren dann zurück in ihre Redaktionstuben. Ihre Arbeit ist damit getan.

Was sich zwei Tage später ereignet, bekommen sie nicht mehr mit. Wieder sind es nur zwei, diesmal zwei Frauen, die den Anfang machen: Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus.

Sie bezeugen den Auferstandenen und setzen damit den Anfang für eine große Sache, die sie klein begonnen hat.

»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.« (Phil 4,7) Amen.